Zur Auslegung und dem Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung durch den Europäischen Gerichtshof
Aufgrund einer Vorlageentscheidung des Obersten Gerichtshofes von Litauen hatte der Europäische Gerichtshof in einer aktuellen Entscheidung über die Auslegung der Europäischen Erbrechtsverordnung, Verordnung (EU) Nummer 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses zu entscheiden.

In den Vorlagefragen ging es um die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts und des grenzüberschreitenden Bezug und damit verbunden, ob ein Erbfall, der einen grenzüberschreitenden Bezug im Sinne der Verordnung aufweist, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte, er aber die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates hatte, zu dem er seine Verbindung nicht aufgehoben hatte, vorliegt. Der Europäische Gerichtshof hat ausgeführt, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in der Verordnung nicht definiert ist, sich aus den Erwägungsgründen Nummer 23 und 24 der Verordnung aber ableiten lässt, dass in einem solchen Fall ein Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug gegeben ist. Darüber hinaus wurde entschieden, das für die Feststellung des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes eines Erblassers im Lichte der Verordnung die Behörde den letzten gewöhnlichen Aufenthalt feststellt, die mit der Erbsache in einem Mitgliedstaat befasst ist.

Nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung üben litauische Notare keine gerichtlichen Funktionen aus, wenn durch den litauischen Notar ein nationales Nachlasszeugnis ausgestellt wird. Die mit der Angelegenheit befassen Gerichte haben dann festzustellen, ob die Handlung des Notars als gerichtliche Entscheidung anzusehen ist. Kommt das Gericht zu der Auffassung, dass der Notar als Gericht im Sinne der Verordnung zu qualifizieren ist, stellt das Nachlasszeugnis dann eine gerichtliche Entscheidung im Sinne der Verordnung da. Handelt es sich bei der Tätigkeit der Ausstellung des Nachlasszeugnisses eines Notars lediglich um eine nationale Angelegenheit, dann ist dies kein Nachlasszeugnis im Sinne der Verordnung. Es handelt sich dabei lediglich um eine öffentliche Urkunde im Sinne der Verordnung.
EuGH, Aktenzeichen C - 80/19, Urteil vom 16.07.2020, eingestellt am 31.10.2020