Vernehmung des Notars im Erbscheinsverfahren als Zeuge
Es kommt immer wieder vor, dass Testamente, die notariell abgefasst wurden, der Auslegung bedürfen und es ermittelt werden muss, was der Wille der Beteiligten zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments gewesen ist. Wenn die Testamente notariell abgefasst sind, kann in Erwägung gezogen werden, dass der Notar als Zeuge vernommen wird. Hierbei taucht aber in der Regel die Schwierigkeit auf, dass die Auslegung der Testamente erst nach dem Tod des Verfügenden in Betracht kommt.

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ging es in einer erbrechtlichen Auseinandersetzung um die Frage, was der Wille der Erblasser gewesen ist, die in ihrem gemeinsamen Ehegattentestament verfügt hatten, dass Schlusserben die gemeinsamen Kinder sein sollten, wobei diese zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments lediglich ein Kind hatten. Im späteren Verlauf der Ehe wurden noch Pflegekinder aufgenommen und nachdem der Ehemann vorverstorben war, soll die Ehefrau das Gespräch zu einem befreundeten Notar aus der Nachbarschaft gesucht haben, um hier Fragen bezüglich des Testaments zu erörtern. Ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist, war in dem Verfahren streitig. Das Gericht ordnete die Vernehmung des Notars an. Dieser berief sich auf die Einrede der Verschwiegenheit und dass es für die Aufhebung seiner Schweigepflicht der Schweigepflichtsentbindung durch die Aufsichtsbehörde nach § 18 Abs. 2 Bundesnotarordnung bedürfe. Da beide beteiligten Eheleute bereits vorverstorben waren, war die Aufsichtsbehörde der zuständige Präsident des Landgerichts. Dieser lehnte jedoch die Aufhebung der Verschwiegenheit ab.

Das Oberlandesgericht Frankfurt führt in seinem Beschluss aus, dass der Notar nicht nur für die tatsächliche Beurkundung der Verschwiegenheit unterliegt, sondern selbst für die Anbahnung und die Gespräche, die im Zusammenhang mit einer Amtshandlung oder deren Anbahnung erfolgt sind. Wenn keine Entbindung der Verschwiegenheit durch die beteiligten Erblasser nach dem Tod erfolgt ist, dann kann nur die Aufsichtsbehörde die Verschwiegenheitsentbindung vornehmen. § 18 BNotO stellt nach Auffassung des Gerichts eine Spezialregelung dar, die es verbietet anzunehmen, dass Erblasser mutmaßlich bereits vor dem Tod einwilligen, dass eine Zeugenvernehmung des Notars stattfinden kann, damit der tatsächliche Wille bei der Beurkundung bekannt ist und umgesetzt wird.

Aus diesem Grund wurde der Notar nicht vernommen und es konnte nicht geklärt werden, ob es ein Gespräch mit der Erblasserin gab und welchen Inhalt dieses hatte. Die Beweisaufnahme wurde deshalb nicht durchgeführt und das Testament wurde lediglich durch das Gericht ausgelegt.
OLG Frankfurt/Main, Az. 20 W 275/19, Beschluss vom 18.03.2021, eingestellt am 22.09.2021