Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines Erlassvertrages durch einen behinderten Sozialleistungsbezieher
Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein Behinderter, der Sozialleistungen bezieht, nach dem Tod des Erblassers mit den Erben einen Erlassvertrag schließen kann, wonach auf Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche verzichtet wird. Im vorliegenden Fall hatten zwei Ehegatten sich testamentarisch als Alleinerben eingesetzt, sie hatten zwei Kinder, eins davon war behindert, Schlusserbe nach den Eltern sollte das nicht behinderte Kind werden.

Das behinderte Kind war nicht geschäftsunfähig. Nach dem Tod des Vaters schloss es mittels notariellen Vertrags mit der Mutter und Alleinerbin einen Erlassvertrag dahingehend, dass es keine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen die Mutter nach dem ersten Erbfall erheben würde.

Das Oberlandesgericht Hamm stellt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest, dass auch nach dem Tod auf den Pflichtteil verzichtet werden kann, hierbei handelt es sich dann nicht um einen Pflichtteilsverzichtsvertrag, der zu Lebzeiten abzuschließen ist, sondern um einen Erlassvertrag nach § 397 BGB.

Zu den Entscheidungsgründen führt das Oberlandesgericht Hamm aus, das der geschäftsfähige und unter Betreuung stehende Sohn einen solchen Vertrag schließen kann, er ist voll geschäftsfähig und die Betreuung an sich reicht nicht aus, um die Geschäftsfähigkeit aufzuheben. Darüber hinaus hat der Sohn in seiner Rechtsstellung die Möglichkeit, selbst wenn er Erbe geworden wäre, die Erbschaft auszuschlagen, das gleiche muss auch für den Pflichtteil möglich sein. Weiter wird ausgeführt, dass der reine Bezug von Sozialleistungen nicht dazu geeignet ist, dass ein Pflichtteilsberechtigter, auch Pflichtteile gegen die Mutter durchsetzen muss. Wenn ein Nichtbehinderter im Rahmen der Familieninteressen auf seinen Pflichtteil verzichtet, dann ist dies als sittlich gebilligt anzusehen. Das gleiche kann auch bei einem behinderten Pflichtteilsberechtigten gesehen werden. Dieser kann nicht anders gestellt werden, sodass es dann sittenwidrig wäre, wenn er auf sein Pflichtteilsrecht gegenüber den eigenen Eltern verzichtet.
OLG Hamm, Az.: 10 U 19/21, Urteil vom 09.11.2021, eingestellt am 08.06.2022