Zur Widerlegbarkeit der Richtigkeitsvermutung des Europäischen Nachlasszeugnisses
Vor dem Oberlandesgericht München ging es in einem aktuellen Verfahren um einen internationalen Erbfall. Die Erbenstellung wurde durch Europäisches Nachlassverzeichnis nachgewiesen, das in Italien ausgestellt und ins Deutsche übersetzt wurde. Grund hierfür war, dass der Erblasser, der seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hatte und dort auch verstorben ist, ein Testament über sein in Deutschland und Italien belegenes Vermögen errichtet hatte. Testamentarisch wurde sein Vermögen zwischen den Kindern und dem zuvor verstorbenen Bruder aufgeteilt. Für eine Immobilie, die sich in München befand, hatte er die das Verfahren führende Beteiligte als Alleinerbin eingesetzt. Die Beteiligte wollte das Eigentum in Deutschland auf ihren Namen umschreiben lassen, hierfür legte sie das Europäische Nachlasszeugnis vor. Dieses wies allerdings nur eine Teileigentümerstellung aus und keine Vermächtnisnehmerstellung. Grund dafür war, dass die Beteiligte in Italien ihr Vorausvermächtnis ausgeschlagen hatte.
Das Oberlandesgericht München wertete das italienische Erbrecht für die Erbenstellung der Beteiligten aus. Es ging davon aus, dass die Alleinerbenstellung, die testamentarisch für den Immobilienbesitz in Deutschland verfasst wurde als Vermächtnisnehmerstellung im Rahmen eines Vindikationslegats nach italienischen Recht anzusehen ist. Da die Beteiligte jedoch ihr Vorausvermächtnis nach italienischem Recht ausgeschlagen hatte, konnte sie lediglich Teilerbin sein am Nachlass des Erben. Daraus ergab sich, dass die Beteiligte, die die Umschreibung des Immobilienbesitzes in München beantragte, lediglich Teileigentümerin einer Erbengemeinschaft sei, nicht aber Alleineigentümerin.
Wenn sich im Nachgang zum Erbfall dann die beteiligten Erben darauf einigen, dass ein Teil des Eigentums einem Erben alleine zustehen soll, dann handelt es sich hierbei um eine Verfügung unter Lebenden, und die Wirksamkeit einer Übertragung des Eigentums richtet sich dann nach dem jus soli, nicht jedoch nach dem europäischen Nachlasszeugnis. Aus diesem Grund ist die europäische Erbrechtsverordnung dann nicht auf die zwischen den Erben durchgeführte Auseinandersetzung anzuwenden. In diesem Fall kommt es dann zur Diskrepanz zwischen Europäischem Nachlasszeugnis und dem tatsächlich anwendbaren Recht, das sich nicht nach dem europäischen Nachlasszeugnis richtet.
Praxishinweis: Die Entscheidung macht deutlich, dass grundsätzlich vor einer Ausschlagung, sei es Vermächtnis oder Erbschaft, die Beteiligten sich die rechtlichen Konsequenzen bewusst machen müssen. Im vorliegenden Fall hätte die Beteiligte, hätte sie das Vorausvermächtnis nicht ausgeschlagen, im Rahmen eines Vindikationslegats nach italienischem Recht die Eintragung des Immobilienbesitzes in Deutschland erwirken können. Durch die Ausschlagung nach italienischem Recht hat sich ihre rechtliche Situation verändert und es ist erforderlich, weitere Nachweise für ihre Rechtsstellung zu erbringen.
OLG München, Az.: 34 Wx 236/20, Beschluss vom 29.09.2020, eingestellt am 01.5.2021