Zur Veräußerung des Nacherbenanwartschaftsrechts
Ob der Nacherbe das Recht hat, sein Nacherbenanwartschaftsrecht zu veräußern, war Gegenstand eines Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. In dem vorliegenden Fall hatte der Erblasser erbvertraglich seine Ehefrau als Alleineigentümerin und Vorerben eingesetzt. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einer Eigentumswohnung. Gleichzeitig war in dem Erbvertrag geregelt, dass als Nacherbe der Sohn eingesetzt wurde. Zudem wurde erbvertraglich geregelt, dass für den Fall, dass die Eigentumswohnung veräußert würde, der Sohn die Hälfte des Verkaufserlöses erhalten sollte.
Nach dem Tod des Erblassers übertrug der Sohn sein Nacherbenrecht an die Vorerbin und veräußerte diese für einen Wert von 10.000 €, der den hälftigen Verkehrswert der Eigentumswohnung ausmachen sollte. Im Anschluss beantragte die Ehefrau einen Erbschein ohne Nacherbenvermerk. Das Nachlassgericht bestellte für mögliche unbekannte Abkömmlinge des Nacherben (des Sohnes) eine Nachlasspflegschaft. Der Sohn hatte bis zum Zeitpunkt der Übertragung keine eigenen Kinder. Im Erbscheinverfahren wandte sich die Alleinerbin gegen den Nacherbenvermerk des Erbscheins mit Erfolg.
Das Oberlandesgericht Braunschweig führt in seinem Beschluss aus, dass das Testament keine Regelung beinhaltet, wonach der Sohn als Nacherbe nicht in der Lage gewesen sein sollte, sein Nacherbenanwartschaftsrecht zu verkaufen. Das Oberlandesgericht Braunschweig kommt durch die Auslegung des Testaments zu dem Ergebnis, dass es keine Beschränkung in der Veräußerung des Nacherbenanwartschaftsrechts gab. Das Ergebnis erfolgt durch die erläuternde Auslegung des Testamentes. Testamente, die auslegungsbedürftig sind, da ihr Inhalt gegebenenfalls nicht klar ist, sind durch erläuternde Auslegung und hilfsweise ergänzende Auslegung auszulegen. Nur wenn für einen solchen Fall kein eindeutiges Ergebnis bestimmbar ist, finden die gesetzlichen Auslegungsregelungen nach § 2108 BGB und § 2069 BGB Anwendung.
Mit der erläuternden Testamentsauslegung wird die Frage nach dem maßgeblichen Verständnis des Erblasserwillens verfolgt. Es ist zu hinterfragen, was der Erblasser mit seinen Worten tatsächlich ausdrücken wollte. Im Erbvertrag wurde lediglich geregelt, dass der Sohn Nacherbe werden sollte. Eine weitere Regelung zur Nacherbenfolge und etwaiger Abkömmlinge des Nacherben und deren Nacherbenstellung gab es nicht. Daraus lässt sich nach Auffassung des Gerichts gerade nicht schließen, dass weitere Abkömmlinge, die bisher nicht bekannt sind, auch zu Nacherben bestimmt werden sollten. Aus diesem Grund und der Tatsache, dass ein Nacherbenanwartschaftsrecht ein veräußerliches und vererbbares Recht darstellt, durfte der Sohn sein Nacherbenanwartschaftsrecht auf die Vorerbin übertragen.
OLG Braunschweig, Aktenzeichen 3 W 74/20, Beschluss vom 18.12.20 19, eingestellt am 23.11.2020