Auslegung der Schlusserbenstellung auf den noch vorhandenen Nachlass
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main hatte in einem Verfahren darüber zu entscheiden, inwieweit die Ehefrau, die ihren Ehemann aufgrund eines deutlichen Altersunterschiedes überlebte und eine weitere Ehe einging und auch diesen Ehemann überlebte, Vermögen aus dieser Ehe auf eine Person übertragen konnte, die nicht im gemeinschaftlichen Ehegattentestament aus erster Ehe bedacht war.
In dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament hatten die Eheleute verfügt, dass der längerlebende Ehegatte Alleinerbe sein solle und die Kinder als Schlusserben für den Teil eingesetzt werden sollten, der beim Ableben des längerlebenden Ehegatten noch vorhanden sei.
Das Oberlandesgericht führt aus, dass eine beeinträchtigende Schenkung in analoger Anwendung des § 2287 BGB, die für die vertragserbliche Stellung im Erbvertrag gilt, aber nach gefestigter Rechtsprechung und Literatur auch analog auf gemeinschaftliche Ehegattentestamente Anwendung findet, hier nicht in Betracht kommt. Die Klausel im Testament, wonach auf die Schlusserben nur das entfällt, was am Ende übrig bleibt, räumt dem längerlebenden Ehegatten eine freie Verfügungsberechtigung ein. Eine benachteiligende Schenkung in analoger Anwendung des § 2287 BGB kommt nicht in Betracht, da die Ehegatten gerade mit dieser Klausel eine Vereinbarung getroffen haben, die es dem längerlebenden Ehegatten ermöglicht, frei über das Vermögen zu verfügen, und zwar auch über das aus dem ersten Erbfall ererbte Vermögen.
Darüber hinaus führt das Oberlandesgericht aus, dass das Vermögen, das die Ehefrau aus der zweiten Ehe erworben hat, nicht von der Bindungswirkung des ersten Testaments umfasst sei. Hinweise dafür bietet das Testament nicht und vielmehr kann ein hypothetischer Wille der Beteiligten darin gesehen werden, dass die Ehefrau durch Vermögenserwerb aus einer Ehe, die nach dem Tod des Ehemannes erfolgt, frei verfügen darf und es keiner Bindung unterliegt.
OLG Frankfurt/Main, Az.: 10 U 225/19, Urteil vom 17.12.2021, eingestellt am 01.08.2022