Rechtswahl des englischen Erbrechts im Verhältnis zum deutschen ordre public
Die Europäische Erbrechtsverordnung ermöglicht es, innerhalb der Europäischen Union bei Wohnsitz im Ausland oder unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, entsprechend das Recht des Staates zu wählen, dem man angehört. Die Rechtswahl hat in der Verfügung von Todes wegen zu erfolgen. Stirbt ein Erblasser in einem anderen Mitgliedsstaat ohne eine Rechtswahl getroffen zu haben, dann findet das Erbrecht des Staates Anwendung, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalts hatte.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesgerichtshof ging es um die Fragestellung, ob die vom Erblasser gewählte Rechtswahl des Rechts von England und Wales, dessen britische Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte, mit dem deutschen ordre public in Einklang zu bringen ist. In dem Fall lebte der Erblasser trotz britischer Staatsangehörigkeit, ausschließlich in Deutschland, hatte hier ein Kind adoptiert und sein Vermögen lag insgesamt in Deutschland. Eine Rückkehrabsicht in das Vereinigte Königreich war nicht gegeben. Das adoptierte Kind wurde durch den Erblasser jedoch nicht bedacht, sodass aufgrund der Anwendung britischen Rechts, das keinen Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch kennt, eine entsprechende Teilhabe am Nachlass des Erblassers für das Kind nicht möglich war. Im Gegensatz zum deutschen Recht kennt das britische Recht im Erbrecht bei einer Enterbung von Abkömmlingen Kompensationsansprüche, die eher dem Unterhaltsrecht ähnlich sind, als dass sie erbrechtliche Ersatzansprüche darstellen. Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes war es umstritten, ob das Recht eines Staates, was kein vergleichbares Pflichtteilsrecht wie das deutsche Erbrecht kennt, gegen den ordre public verstößt. Der Bundesgerichtshof stellt nun für diesen Einzelfall fest, dass hier mit dem nicht vorhanden Pflichtteilsrecht, was nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine unentziehbare Teilhabe am Nachlass der Kinder des Erblassers sichert, mit dem deutschen ordre public nicht in Einklang zu bringen ist. Artikel 35 der Europäischen Erbrechtsverordnung regelt gerade dieses Korrektiv, das eine Rechtsnorm dann nicht von einem deutschen Gericht anzuwenden ist, wenn es gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstößt.

Praxishinweis:
Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs kann Signalwirkungen für andere erbrechtliche Streitigkeiten mit internationalem Bezug haben, da es neben der britischen auch andere Rechtsordnungen gibt, die ein Pflichtteilsrecht, wie es das deutsche Recht kennt, nicht haben. Ob allerdings in jedem Fall dann eine Teilhabe am Nachlass gegeben ist, wenn ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling nach deutschem Recht in Anwendung des ausländischen Rechts von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, ist im Zweifel in einem gerichtlichen Verfahren zu klären.
Bundesgerichtshof, Az.: IV ZR 110/21, Urteil vom 29.06.2022, eingestellt am 30.09.2022