Zur Beweiswürdigung entscheidungserheblicher Tatsachen in der zweiten Instanz
Die erste und zweite gerichtliche Instanz sind die Tatsacheninstanzen, in denen der Lebenssachverhalt, der den Rechtsstreit begründet, durch das Gericht aufzuklären ist. Die Frage, inwieweit das zweitinstanzliche Gericht sich an die Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Gerichts zu halten hat, oder eine neue Tatsachenfeststellung vorzunehmen ist, wurde erneut durch den Bundesgerichtshof geprüft.
Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass das Berufungsgericht hinsichtlich seiner Prüfungskompetenz nicht auf eine reine Kontrollfunktion der Tatsachenfeststellung der ersten Instanz beschränkt ist. Das Berufungsgericht hat die Tatsachenwürdigung und Überzeugungsbildung des erstinstanzlichen Gerichts sowohl bezüglich der Überzeugungsbildung auf Rechtsfehler zu überprüfen, als auch die Feststellung zu treffen, ob die entscheidungserheblichen Feststellungen, die das erstinstanzliche Gericht getroffen hat, auch die Möglichkeit bieten, eine unterschiedliche Bewertung der Tatsachenermittlung vorzunehmen.
Die Berufungsinstanz und damit die zweite Instanz ist eine Tatsacheninstanz, zu deren Aufgaben es gehört, eine fehlerfreie und überzeugende richtige Entscheidung des zugrundeliegenden Einzelfalls zu treffen. Daraus ergibt sich folgende Verpflichtung der Berufungsinstanz: Das Berufungsgericht hat zu prüfen, ob aufgrund der Beweiserhebung und Beweiswürdigung in der ersten Instanz, auf die sich die Urteilsfindung stützt, eine andere Entscheidung hätte ergehen können und die Entscheidung der ersten Instanz deshalb keinen Bestand hat. Wenn dies das Ergebnis der Prüfung ist, dann ist das Berufungsgericht verpflichtet, eine erneute Tatsachenfeststellungen zu treffen.
BGH, Az. VIII ZR 20/23, Beschluss vom 08.08.2023, eingestellt am 22.02.2024