Bestimmbarkeit eines Vermächtnisnehmers bei nicht namentlicher Bezeichnung im notariellen Testament
Wird in einem notariellen Testament der „erstgeborene männliche Enkelsohn“ des Erblassers als Vermächtnisnehmer vorgesehen, ohne dass dieser namentlich genannt wird – selbst wenn er zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits geboren war –, steht die Frage im Raum, ob und wie der konkret Begünstigte eindeutig bestimmt werden kann.
Die Auslegung letztwilliger Verfügungen richtet sich gemäß §§ 133, 2084 BGB primär nach dem wirklichen Willen des Erblassers. Der Tatrichter darf sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern muss – ggf. unter Einbeziehung außerhalb des Testaments liegender Umstände – versuchen, den Erblasserwillen zu ermitteln. Es ist erforderlich, den gesamten Inhalt der Testamentsurkunde unter Einbeziehung aller Nebenumstände zu würdigen. Dabei ist nicht der buchstäbliche Sinn der Formulierung maßgeblich, sondern was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte, vgl. KG 26 W 57/16, KG 6 W 107/15, OLG Hamm 15 W 66/06.
Der Erblasser muss zwar nicht zwingend eine Person namentlich bezeichnen. Es genügt, dass diese für einen sachkundigen Dritten anhand objektiver Kriterien und auf Grundlage der Urkunde und ggf. externer eindeutiger Beweismittel (wie Geburtsurkunden) zuverlässig bestimmbar ist, vgl. wie KG a.a.o., OLG Hamm, a.a.O, OLG Saarbrücken 5 U 57/18, OLG Frankfurt 23 U 51/00.
Nach § 2065 BGB muss der Erblasser selbst über die Person des Bedachten entscheiden. Die Person muss so bestimmt sein, dass ihre Identität einwandfrei festgestellt werden kann. Es besteht keine Verpflichtung zur namentlichen Nennung; vielmehr ist jede eindeutige soziale Bezeichnung (wie „erstgeborener männlicher Enkelsohn“) ausreichend, sofern sie auf nur eine Person zutrifft, KG a.a.o., OLG Hamm, a.a.O, OLG Köln 2 Wx 536/16.
Unbestimmte Formulierungen, aus denen nicht eindeutig hervorgeht, wer gemeint ist (z.B. „die mich zuletzt gepflegt hat“), führen zur Nichtigkeit der Verfügung. Entscheidend ist, dass die Identität des Bedachten durch eine Auslegung der Verfügung sowie ggf. durch die Heranziehung objektiv feststellbarer Tatsachen – wie Personenstandsurkunden – zweifelsfrei festgestellt werden kann, sodass jede Willkür Dritter ausgeschlossen ist.
Liegt eine Bestimmung zugunsten des „erstgeborenen männlichen Enkelsohns“ vor, obwohl dieser bereits geboren war, der Name aber nicht genannt ist, genügt es zur eindeutigen Identifikation, die Geburtsurkunden der in Betracht kommenden Enkelkinder vorzulegen. Daraus ergibt sich eindeutig, welcher Enkelsohn als der erstgeborene männliche Enkel zu qualifizieren ist — gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung objektiver Nebenumstände aus dem familiären Kontext.
Diese Praxis entspricht der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Meinung: Die Person des Bedachten kann aufgrund der Testamentsauslegung in Zusammenhang mit objektiven Nachweisen aus dem Personenstandsregister eindeutig festgestellt werden. Entscheidend ist, dass keine Willkür möglich ist. Sobald die Personenstandsurkunden zweifelsfrei einen „erstgeborenen männlichen Enkelsohn“ dokumentieren, steht die Identität des Begünstigten fest, vgl. wie vor.
Die Auslegung des Testaments soll dem Erblasserwillen zum größtmöglichen Erfolg verhelfen (§ 2084 BGB). Nach der sog. Andeutungstheorie genügt es, wenn im Testament zumindest eine Andeutung des Begünstigten vorhanden ist und der Ausspruch mit Hilfe weiterer, objektiv überprüfbarer Tatsachen konkretisiert werden kann. Das Anliegen des Erblassers – nicht die namentliche Nennung, sondern das Familienverhältnis – steht dabei im Vordergrund. Die namentliche Bezeichnung ist kein zwingendes Formerfordernis, vgl. KG a.a.o., OLG Hamm, a.a.O.
Die Bezugnahme auf objektive Daten wie Geburtsurkunden dient der Rechtsklarheit und verhindert, dass ein Dritter nach Gutdünken bestimmt, wer begünstigt ist. Durch die soziale Beziehung (Enkelverhältnis) und das objektiv feststellbare Merkmal (erstgeboren, männlich) ist der Bedachte eindeutig und willkürfrei identifiziert.
Bereits die Angabe einer sozialen Beziehung genügt, um eine Person im erbrechtlichen Sinn zu bestimmen. Die Rechtsprechung lässt dies ausdrücklich zu, solange kein Zweifel an der Zuordnung bestehen kann und die Bestimmung objektiv überprüfbar ist.
Die Instanzgerichte und die Kommentarliteratur betonen übereinstimmend, dass bei einer Formulierung wie „erstgeborener männlicher Enkelsohn“ das Vermächtnis wirksam und die Bestimmbarkeit des Begünstigten ausreichend ist, sofern die objektiven Merkmale (erstgeboren, männlich, Enkel) vorliegen und nachvollziehbar belegt werden können.
Die Vorlage von Geburtsurkunden dient als zulässiger Nachweis, die den rechtlichen und biologischen Status sowie das Geburtsdatum belegen. Sind mehrere Enkel vorhanden, ist nur der zuerst geborene männliche Enkelsohn nach dem Regelungssinn begünstigt. Die Rechtsprechung lehnt eine Nichtigkeit der Verfügung bei Vorliegen klarer objektiver Kriterien ab, Vgl. KG a.a.o., OLG Hamm, Köln Saarbrücken und Frankfurt, a.a.O.
Bestimmt der Erblasser in einem notariellen Testament, dass der „erstgeborene männliche Enkelsohn“ ein Vermächtnis erhalten soll, so ist die Vorlage der Geburtsurkunden zur Feststellung der Begünstigtenidentität auch dann ausreichend, wenn der Enkelsohn schon geboren war, aber nicht ausdrücklich mit Namen genannt wurde. Für diese Auslegung spricht die den Erblasserwillen schützende Testamentsauslegung gemäß §§ 133, 2084, 2065 BGB, die Rechtsprechung zu sozialen Identifizierungsmerkmalen und das Erfordernis der Bestimmtheit, das durch die Auslegung und objektive Urkunden gewahrt wird. Dies entspricht auch der ständigen Praxis der Nachlassgerichte und der überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung.
Dr. jur. Christian Kasten, Fachanwalt für Erbrecht, eingestellt am 08.09.2025
