Verfassungsgemäße geschlechtsspezifische Sterbetafeln für die Ermittlung der Erbschaftsteuer
Mit Urteil vom 20.11.2024 entschied der Bundesfinanzhof, dass die Anwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln bei der Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht gegen Art. 3 III 1 GG (Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts) verstößt.
Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Kläger zusammen mit seinen Geschwistern 2014 einen Vertrag zur vorweggenommenen Erbfolge mit dem Vater abgeschlossen, in dessen Rahmen ihnen jeweils 23,33% der Anteile an einer GmbH übertragen wurden, wobei der Vater sich den lebenslangen Nießbrauch vorbehielt. Das Finanzamt berechnete den Kapitalwert des Nießbrauchs anhand der amtlichen Sterbetafel für einen 74-jährigen Mann und setzte diesen steuermindernd an. Das Finanzgericht Köln wies die Klage gegen den Schenkungsteuerbescheid ab, ebenso blieb die Revision erfolglos.
Der Bundesfinanzhof bestätigte, dass die Übertragung der GmbH-Anteile als Schenkung i.S.d. § 1 I Nr. 2 i.V.m. § 7 I Nr. 1 ErbStG behandelt wurde, da sie unentgeltlich erfolgte und der Nießbraucher alle Lasten trug. Die Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs unter Abzug des Kapitalwerts des Nießbrauchs erfolgte nach § 14 BewG korrekt. Die Berechnung des Kapitalwerts mittels Vervielfältiger aus der amtlichen Sterbetafel, für die das Geschlecht maßgeblich ist, wurde als gesetzeskonform bestätigt. Ein abweichender, vom Kläger vorgeschlagener Vervielfältiger wurde abgelehnt, da das Gesetz die Anwendung der aktuellen Sterbetafel vorschreibt und eine Doppelerfassung von Sterbefällen nicht erfolgt.
Der BFH setzte sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob die geschlechterdifferenzieren-de Anwendung der Sterbetafeln gegen Art. 3 III 1 GG verstößt. Zwar führt die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen zu einer ungleichen steuerlichen Behandlung, da der Kapitalwert des Nießbrauchs bei Frauen aufgrund ihrer statistisch höheren Lebenserwartung höher ausfällt. Dies ist jedoch nach Auffassung des Gerichts verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da das Ziel einer möglichst realitätsgerechten Bewertung zur Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erwerbers im Vordergrund steht. Nur so könne eine gleichheitsgerechte Besteuerung gewährleistet werden. Die Verwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich, da die tatsächliche Lebenserwartung von Männern und Frauen unterschiedlich ist und eine andere, gleich wirksame Regelung ohne geschlechtsbezogene Differenzierung nicht ersichtlich sei.
Die Abwägung zwischen dem Interesse an einer genauen Bewertung und dem Diskriminierungsverbot ergab, dass das Gebot der realitätsgerechten Erfassung des Vermögenszuwachses überwiegt. Die Nachteile seien zumutbar, da atypische Fälle durch Berichtigungsregelungen berücksichtigt werden können. Auch ein Verstoß gegen Unionsrecht wurde verneint, da Art. 157 AEUV (Entgeltgleichheit) nicht anwendbar ist. Das Urteil stellt somit klar, dass eine geschlechterdifferenzierende Bewertung im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
BFH, Az.: II R 38/22, Urteil vom 20.11.2024, eingestellt am 08.07.2025
