Schlussantrag des Generalanwalts des EuGH zum streitigen Antrag eines Europäischen Nachlasszeugnisses
Die Schlussanträge des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona vom 11. April 2024 in der Rechtssache C-187/23 befassen sich mit der Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 650/2012, die den freien Verkehr von Personen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Erbfällen erleichtern soll. Zentral ist dabei das Europäische Nachlasszeugnis, da es Erben, Vermächtnisnehmern, Testamentsvollstreckern oder Nachlassverwaltern ermöglicht, ihre Rechte in anderen EU-Mitgliedstaaten nachzuweisen.

Der Fall betrifft einen französischen Staatsangehörigen, der in Deutschland lebte und dort verstarb. Seine Witwe beantragte beim Amtsgericht Lörrach die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, um sich als Alleinerbin ausweisen zu lassen. Sie legte ein gemeinschaftliches Testament vor, das sie und ihr verstorbener Ehemann unterzeichnet hatten. Der Sohn und die Enkelkinder des Verstorbenen erhoben jedoch Einwände gegen die Gültigkeit dieses Testaments und verwiesen auf ein älteres Testament, in dem der Verstorbene seinen Enkelkindern einen Teil seines Nachlasses vermacht hatte.

Das Amtsgericht Lörrach setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung der Verordnung Nr. 650/2012 vor. Es ging insbesondere um die Frage, ob Einwände gegen die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie im Ausstellungsverfahren selbst erhoben werden.

Wesentliche Rechtsfragen des Verfahrens sind:

  1. Einwände im Ausstellungsverfahren: Die zentrale Frage war, ob Art. 67 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung so auszulegen ist, dass auch Einwände gegen das Nachlasszeugnis berücksichtigt werden müssen, die im Ausstellungsverfahren selbst erhoben werden. Der Generalanwalt argumentiert, dass dies der Fall sei. Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt hindern die Ausstellung des Zeugnisses.
  2. Prüfung durch die Behörde: Eine weitere Frage war, ob die Behörde, die das Zeugnis ausstellt, befugt ist, diese Einwände zu prüfen. Der Generalanwalt stellt klar, dass die Behörde nicht befugt ist, über materielle Streitigkeiten zu entscheiden. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, festzustellen, ob der zu bescheinigende Sachverhalt eindeutig ist.
  3. Rechtsprechungstätigkeit: Eine wichtige Frage war auch, ob das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist, da es nur von einem „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV gestellt werden kann. Der Generalanwalt argumentiert hier gegen die Zulässigkeit des Ersuchens, da die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses keine Rechtsprechungstätigkeit darstellt.

Der Generalanwalt kommt zu dem Ergebnis, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist, da die Behörde bei der Ausstellung des Nachlasszeugnisses keine gerichtliche Entscheidung trifft. Sollte der Gerichtshof jedoch anderer Meinung sein und das Ersuchen für zulässig erklären, empfiehlt der Generalanwalt eine Auslegung von Art. 67 Abs. 1 Buchst. a dahingehend, dass Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt – auch wenn sie im Ausstellungsverfahren selbst erhoben werden – die Ausstellung des Zeugnisses verhindern. Die Entscheidung des Gerichtshofs wird klären müssen, in welchem Umfang nationale Behörden bei der Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses über materielle Streitigkeiten entscheiden dürfen und wie weit ihre Prüfpflichten reichen.
Europäischer Gerichtshof, Schlussantrag Generalanwalt Sánchez-Bordona vom 11. April 2024 zum Verfahren C-187/23, eingestellt am 15.11.2024