Pflichten des Notars bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses
Der Pflichtteilsberechtigte, der regelmäßig keine Kenntnisse über den aktuellen Nachlass des Erblassers hat und dem auch eigene Nachforschungsmöglichketen fehlen, muss in der Praxis auf das notarielle Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zurückgreifen. Der Bundesgerichtshof hat erneut die Pflichten des Notars bei der Abfassung des Nachlassverzeichnisses konkretisiert, vgl. BGH, Az. IV ZB 13/23, Beschluss vom 19.06.2024. Die wesentlichen Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Eigenständige Ermittlungen
Der Notar ist verpflichtet, den Bestand des Nachlasses eigenständig zu ermitteln und darf sich nicht ausschließlich auf die Angaben des Erben verlassen.
Eine bloße Plausibilitätsprüfung der vom Erben bereitgestellten Informationen genügt nicht. Der Notar muss aktiv Nachforschungen anstellen, um die Vollständigkeit und Richtigkeit des Verzeichnisses sicherzustellen.
Umfang der eigenen Nachforschungen
Die Nachforschungspflichten des Notars richten sich danach, welche Schritte ein objektiver Dritter in der Position des Pflichtteilsberechtigten für erforderlich halten würde.
Der Notar hat dabei pflichtgemäß zu entscheiden, welche Ermittlungen notwendig sind und welche Informationsquellen er heranzieht.
Umgang mit Zweifeln oder fehlenden Informationen
Wenn wesentliche Informationen fehlen oder Unklarheiten bestehen, darf der Notar die Erstellung des Verzeichnisses nicht verweigern. Stattdessen muss er die vorhandenen Zweifel dokumentieren und diese im Verzeichnis vermerken. Dies dient dem Zweck, dem Pflichtteilsberechtigten eine Grundlage für die Berechnung und Durchsetzung seines Anspruchs zu bieten.
Verantwortung des Notars
Der Notar muss durch eine Bestätigung im Verzeichnis zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt eigenständig ermittelt und dafür verantwortlich ist.
Ein Verzeichnis, das lediglich die Erklärungen des Erben wiedergibt oder keine eigenständigen Feststellungen enthält, erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht.
Grenzen und Konsequenzen
Der Notar kann die Amtstätigkeit nur in sehr engen Ausnahmefällen verweigern, etwa wenn eine objektive Unmöglichkeit vorliegt. Sollte der Erbe seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommen (z. B. durch Nichtvorlage von Unterlagen), ist der Notar verpflichtet, den Erben zur Beschaffung dieser Unterlagen aufzufordern und gegebenenfalls eigene Nachforschungen bei Dritten anzustellen.
Bedeutung für Pflichtteilsberechtigte
Der Beschluss stärkt die Rechte von Pflichtteilsberechtigten, indem er sicherstellt, dass ein notarielles Nachlassverzeichnis eine höhere Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit bietet als ein privates Verzeichnis. Gleichzeitig wird klargestellt, dass verbleibende Unklarheiten im Verzeichnis dokumentiert werden müssen, um den Pflichtteilsberechtigten nicht zu benachteiligen.
Dr. jur. Christian Kasten, eingestellt am 01.01.2025