Testierfreiheit im Spannungsverhältnis zur Eheschließungsfreiheit
Das Oberlandesgericht München hat sich in einem Verfahren mit der Frage der Sittenwidrigkeit einer im privatschriftlichen Testament enthaltenen Enterbung auseinandergesetzt. Der Fall betraf einen Erblasser, der in seinem Testament verfügt hatte, dass sein Sohn enterbt würde, sollte dieser eine bestimmte Frau heiraten. Der Sohn heiratete die Frau noch zu Lebzeiten des Erblassers.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Enterbungsklausel nicht sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sei. Es argumentierte, dass der durch die Bedingung ausgeübte Druck auf den Sohn gering war, da er aus einer bloßen Ankündigung des Erblassers resultierte und nicht aus dem Testament selbst. Zudem wusste der Sohn, dass er durch "Wohlverhalten" zwar etwas gewinnen, aber bei "Zuwiderhandlung" nur seinen ohnehin ihm zustehenden Pflichtteil verlieren konnte. Das Gericht betonte, dass der Erblasser das Testament jederzeit hätte widerrufen können, wodurch der Sohn keine Gewissheit bezüglich einer Erbeinsetzung haben konnte. Auch die Tatsache, dass der Sohn pflichtteilsberechtigt war und eine abgeschlossene Ausbildung hatte, sprach gegen einen unzumutbaren wirtschaftlichen Druck.

Ein wichtiger Aspekt war, dass dem Sohn nicht generell die Eheschließung untersagt wurde, sondern nur die Ehe mit einer bestimmten Person. Das Gericht sah darin den Versuch des Erblassers, sein Lebenswerk zu schützen, was zwar moralisch fragwürdig, aber rechtlich zulässig sei. Das OLG München unterschied auch zwischen Bedingungen, die vor und nach dem Erbfall eintreten. Im vorliegenden Fall stand der Eintritt der Bedingung bereits vor dem Erbfall fest, was gegen eine sittenwidrige Beeinflussung sprach.

Selbst wenn die Klausel als sittenwidrig eingestuft worden wäre, hätte dies nach Ansicht des Gerichts nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Enterbung geführt. Die Frage wäre dann im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung zu klären gewesen.

Praxishinweis:

Die Entscheidung reiht sich in die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Potestativbedingungen ein und beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit und anderen Grundrechten, hier der Eheschließungsfreiheit. Die zivilrechtliche Generalklausel des § 138 BGB spielt bei der Testamentsauslegung eine wichtige Rolle und erfordert eine sorgfältige Abwägung der konkurrierenden Grundrechtspositionen. Ein Verstoß gegen § 138 BGB kann vorliegen, wenn der Erblasser unangemessenen Druck auf die Entscheidungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten ausübt. Das OLG München legt in seiner Abwägung besonderen Wert auf die Testierfreiheit des Erblassers. Allerdings ist das Argument des Senats, dass der Erblasser seinen Sohn hätte enterben können, als er von dessen Hochzeit erfuhr, zwiespältig, da der Erblasser dies gerade nicht tat.

Die potenzielle Sittenwidrigkeit liegt in diesem Fall darin, dass der Erblasser Einfluss auf eine höchstpersönliche Entscheidung des Bedachten nehmen wollte, was besonders problematisch ist, da der Bedachte zu Lebzeiten des Erblassers von dessen letztem Willen wusste. Dies übt erheblichen Druck auf den Bedachten aus und schränkt dessen grundrechtlich geschützte Eheschließungsfreiheit ein.

Obwohl das OLG München die Sittenwidrigkeit in diesem Fall verneinte, hätte sie durchaus auch bejaht werden können, wie es das OLG Naumburg, Az.: 9 U 110/98, in einem vergleichbaren Fall entschieden hatte. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Problematik steht noch aus.
Dr. jur. Christian Kasten, eingestellt am 01.03.2025